Am Anfang war…… eine Radiosendung.
In der Sendung des Deutschlandfunks berichtete ein deutscher Arzt über die Situation in der Kinderabteilung des 1. Krankenhauses in Minsk. Es war erschütternd. Ich erkundigte mich beim Sender nach der Adresse des Arztes. Es war Dr. Gerein aus Frankfurt. In einem längeren Telefonat wurde mir klar, dass mit einer Geldspende für Medikamente geholfen werden kann.
Meine Bitte an den Lions Club Mayen hier zu helfen, traf auf offene Ohren. 10.000,00 DM wurden zur Verfügung gestellt. Um zu sehen, was mit diesem Geld gemacht wird, fuhren eine Freundin und ich mit Herrn Dr. Gerein nach Minsk.
Es war eine recht abenteuerliche Reise. Mit dem Nachtzug nach Wien. 10 Stunden Aufenthalt in Wien, Dr.Gerein gab in dieser Zeit im österreichischen Fernsehen ein Interview. Um 16 Uhr sollte der Flieger nach Minsk starten, tat er aber nicht. Nach längerer Wartezeit kam die Meldung, dass das Wetter so schlecht sei, dass die Maschine nicht landen kann. Während wir noch warteten und überlegten mit dem Zug nach Moskau zu fahren o.ä. kam eine Durchsage…… Wir waren todmüde, doch diese Meldung weckte alle Lebensgeister.
In Minsk, auf einem damals entsetzlichen Flughafen angekommen, mußten wir beim Zoll endlos lange warten. Einige der Begleiter Dr. Gereins hatten Kinder-Video-Filme mit im Gepäck! Diese mußten sich die Zöllner erst einmal anschauen.
Dann endlich konnte uns die Chefärztin der Kinderabteilung Frau Dr. Alenikowa begrüßen. Um 2 Uhr am Morgen waren wir endlich im Hotel!! Nach 28Stunden!
Heute ist man in zweieinhalb Stunden von Frankfurt in Minsk!!
Am nächsten Tag trafen wir uns in der 1. Klinik, zusammen mit einer Gruppe aus Österreich. Diese wurde von einem Kinderchor begleitet, denn man wollte nicht nur humanitär helfen, sondern auch durch Musik und Tanz (wir waren um die Weihnachtszeit dort) Lebensfreude weitergebe. Es war ein grandioser Erfolg.
Natürlich ist es sehr schwer zu beschreiben was wir empfunden haben, als wir die vielen krebskranken Kinder sahen. Uns fehlten die Worte ob dieses Leides und ich glaube, dass jeder die Klinik mit einem einzigen Gedanken verließ: Hier müssen wir helfen, sofort, ohne langes Hin und Her.
Wir waren eine Gruppe von drei Familien, die sofort nach Ihrer Rückkehr Bettelbriefe an Verwandte, Freunde aber auch Firmen schrieben. Schon zu diesem Zeitpunkt war uns klar, dass wir Kinder nach Deutschland einladen wollten. Diese Kosten benannten wir in den Briefen, um noch mehr zu verdeutlichen warum und wofür wir das Geld verwenden würden. Mit Herzklopfen luden wir dann 33 krebskranke Kinder, drei Mütter, drei Dolmetscher und eine Ärztin ein, denn das gesamte Geld hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zusammen. Aber unser Optimismus, der uns die vielen Jahrzehnte begleitet hat, schenkte uns die Überzeugung, dass wir auch den restlichen Betrag erhalten würden und so war es. Dieser Optimismus half auch als wir uns bewusst wurden, dass wir ja gar keine Erfahrung mit krebskranken Kindern hatten und es gab auch keinen, den wir hätten fragen können. Aber, auch wenn das Herz klopfte, wir wussten, dass wir es gemeinsam schaffen würden.
Dann war es endlich soweit: Unsere Gäste kamen mit dem Zug von Minsk über Berlin nach Köln, dort holten wir sie mit einem Bus ab. Es war eine lange und abenteuerliche Reise, aber endlich in Deutschland angekommen waren nur die Erwachsenen müde, die Kinder waren voll aufgeregter Neugierde. Diese erste Gruppe war in einem Haus der Caritas Mayen in dem kleinen Eifelörtchen Langenfeld untergebracht. Das Gebäude umgab ein großes Grundstück, es war also ideal für „unsere“ Kinder.
Wir standen gleich schon vor unserer ersten Herausforderung als die Ärztin uns mitteilte, dass den Kindern wöchentlich eine Blutprobe entnommen und entsprechend ausgewertet werden muss. Zum Glück hatten wir schon im Vorfeld von unseren Ärzten vor Ort die Zusage erhalten, dass sie uns jederzeit mit Rat & Tat zur Seite stehen würden. Wir waren erleichtert, nicht ganz so die Kinder. Sie hofften nämlich endlich einmal der Klinik „entronnen“ zu sein und eben keine Untersuchungen über sich ergehen lassen zu müsse. Doch es ging alles so schnell, dass bald alle wieder fröhlich im Garten spielen konnten. Abgelenkt waren sie auch durch die vielfältige Unterstützung aus der Bevölkerung und der Lionsclubs: Frauengruppen kamen und brachten Kleidung, Obst, Süßigkeiten und Spielsachen, zu Grillfesten und Kindernachmittagen wurde eingeladen, ja es gab so viele Möglichkeiten, dass schon eine „generalstabsmäßige“ Zeitplanung von Nöten war, um all diese wunderbaren, abwechslungsreiche Angebote in die Tagesplanung einzubauen. Ein ökonomischer Gottesdienst war einer der Höhepunkte, der von unserem örtlichen, katholischen Geistlichen und einem Pater aus dem Kloster Maria Laach, gestaltet wurde, welcher sogar alles für einen katholisch-orthodoxen Gottesdienst mitbrachte. Begleitet wurde dieser Gottesdienst von einem Männerchor aus Maria Laach. Die riesengroße Kirche, auch Eifeldom genannt, war voll bis auf den letzten Platz. Spontan ergriff eine der mitgereisten Mütter das Wort, der Dolmetscherin versagte die Stimme als sie diese spontane Rede übersetzte und uns allen liefen die Tränen.
Die Zeit verging sehr schnell und mit vollen Koffern und Taschen reisten die Kinder nach Hause. Das eine oder andere Kind wollte fast schon bei uns bleiben, doch dann überwog die Freude auf Mama, Papa und die Geschwister.
Es war auch für uns eine aufregende Zeit. Trotz aller positiven Erlebnisse – und es waren unglaublich viele – gab es ja nun auch große und kleine Probleme, die in dieser Zeit gelöst werden mussten und das immer sofort. Aber, gemeinsam schafften wir auch das und zwar so erfolgreich, dass unglaubliche 22 weitere Gruppeneinladungen an krebskranke Kinder aus Minsk erfolgten.
Die nächsten Gruppen waren in Jugendherbergen in Mayen und Mendig untergebracht, begleitet von je zwei Dolmetscherinnen und einer Ärztin. Wieder war die Resonanz und Hilfsbereitschaft sehr groß und es entstand ein richtig „harter Kern“ an Helfern, der uns die Arbeit wesentlich erleichterte. Auch hier gab es gravierende Probleme zu lösen, an zwei erinnere ich mich heute noch mit Schrecken:
Eines Abends kam ein Junge zur Ärztin gelaufen: „Tamara! Tamara! Der Dennis hat Schaum vorm Mund und bewegt sich ganz komisch!“ Wie wir dann erst erfuhren, litt Dennis unter Epilepsie, was nicht in seiner Krankenakte stand. Er hätte niemals die fast 30-stündige Busfahrt auf sich nehmen dürfen, denn alleine der Schlafentzug führt zu Stress und hätte damit schon während der Reise zu Anfällen bei dem kleinen Mann führen können. Wir hielten sofort mit unseren Ärzten Rücksprache und uns war schnell klar, dass wir bei einer so großen Kindergruppe für einen Patienten mit diesem zusätzlichen Krankenbild, nicht die Verantwortung übernehmen konnten. So ließen wir Dennis fachärztlich untersuchen und gaben ihm auch alle notwendigen Medikamente mit, aber letztendlich musste er dann mit einer anderen bereits zurückreisenden Kindergruppen vorzeitig nach Minsk zurückfahren. Die Fahrt verlief ohne Zwischenfall.
Ein anderes Mal mussten wir nachts einen Jungen mit hohem Fieber in die Kinderonkologie des Krankenhauses Kemperhof in Koblenz bringen. Diagnose: innere Sepsis. Morgens um fünf schickten mich die Ärzte nach Hause und sagten, dass sie alles nur menschenmögliche getan hätten, um den Jungen zu retten. Acht Tage lag er auf der Intensivstation, acht Tage bangten wir alle um ihn. Wir musste uns in dieser Situation auch mit dem erschütternden Gedanken beschäftigen, eventuell den Eltern sagen zu müssen, dass ihr Sohn …. Es war schlimm. Aber Gott sei Dank, er überlebte und die Ärzte sammelten spontan Geld, um ihm die notwendigen Antibiotika für ein ganzes Jahr in seinen kleinen Rucksack packen zu können. Ein sehr rührender Moment.
Wie es oft so ist, wurden die Spenden im Laufe der Zeit weniger, gleichzeitig die Unterbringung in den Jugendherbergen teurer. Um dennoch helfen zu können reduzierten wir den dortigen Aufenthalt um eine Woche. Diese acht Tage verbrachten die Kinder in wunderbaren Gastfamilien. Durch die liebevolle Betreuung der Gasteltern und der „Geschwister auf Zeit“ entstanden herzliche Kontakte und: es wurden noch mehr Menschen, auch jüngere Familien, mit den Auswirkungen einer atomaren Katastrophe vertraut: auf einmal war diese Katastrophe so nah, so fassbar und: es hätte vielleicht auch die eigenen Kinder treffen können. Diese tiefgehende Erkenntnis führte dazu, dass wir ab 2001 die Kinder ausschließlich in Familien unterbringen konnten. Immer mehr wollten helfen und aktivierten ihre Freunde, es ihnen gleich zu tun.
Ich erinnere mich an einen Satz eines schon etwas älteren Mädchens: „Alles was ihr uns gezeigt habt, besonders die Schifffahrt auf dem Rhein, der Besuch im Freizeitpark, der Besuch auf der Burg Cochem, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Deutschland und seine Menschen sind wunderbar.“ Den Spuren dieses Mädchens folgten bis 2012 über 800 Kinder.
Neben diesen Aufenthalten wollte ich jedoch auch direkt im Land Belarus helfen, denn ich konnte mir anfangs nicht vorstellen, dass ich die Kindereinladungen so lange finanzieren könnte und so lange Gasteltern finden würde. Ein Wunsch war, einen Kindergarten für krebskranke Kinder ins Leben zu rufen. Der andere war, als ich die Not der Eltern, besonders der Mütter in der Klinik sah, einen Ort zu schaffen, an dem sich nach der Behandlung die Mütter gemeinsam mit Ihren Kindern erholen konnten. Ein mutiger Gedanke, war es doch damals kaum vorstellbar für mich jemals Spendengelder in dieser Höhe aufzubringen, doch wir schafften. für Ingo: Linkverknüpfung auf „Sanatorium“). Eine aufregende Zeit, denn es musste nicht nur der Geldfluss sondern auch die Bauarbeiten kontrolliert werden, was über Ländergrenzen hinweg und in fremder Sprache nochmals eine besondere Herausforderung war.
Ebenso erkannte ich, dass eine dringend notwendige Erholungsmöglichkeit für krebskranke Jugendliche fehlte. Auch hier fand ich eine Lösung: Ein mehrstöckiges Haus, das zu einem großen Sanatoriums Komplex in Aksakowshina gehörte, stand unvollkommen und unbenutzt in der Landschaft. Mir wurde der Ausbau einer Etage angeboten. Da es finanziell überschaubar war nahm ich das Angebot gerne an. Der nächste Traum wurde damit Wirklichkeit. Link zu A.
Später konnte ich mich an einem Projekt vor Ort beteiligen: Hier werden Rückzugsmöglichkeiten für Eltern und deren Kinder außerhalb der Klinik angeboten, z.B. wenn Untersuchungen und Therapien für die Kinder anstehen, aber kein stationärer Klinikaufenthalt nötig ist. So entstand unser erstes Elternhaus (für Ingo: Linkverknüpfung auf „Elternhäuser“), es folgten noch ein zweites, Dank der Spende der Rheinzeitung Koblenz.
Gleichzeitig war es immer ein Herzensanliegen, dem Kinderonkologischen Zentrum mit dringend benötigten Medikamenten zu helfen, die zum Teil in Belarus gar nicht zu beschaffen waren. Oder den Menschen vor Ort mit aus unserer Sicht „Selbstverständlichkeiten“ das Leben zu erleichtern. Hier denke ich z.B. an einen 8-Sitzer Bus, später sogar einem 30-Sitzer, den wir dem Verein „Kinder in Not, Minsk“ (NGO) stifteten: In einem Land ohne gute Infrastruktur können nun auch Eltern und Kinder aus den abgelegenen Dörfern in die Kliniken kommen.
Ohne das große Vertrauen, das wir in den Verein „Kinder in Not“, mit seinem unermüdlich für die Sache kämpfenden Vorsitzenden Ewgeni Ukrainzew, haben, wären viele dieser Ziele nie erreicht worden. Er unterstützt uns nicht nur bei der Organisation, bei Fragen und mit Taten vor Ort, er hält auch den Kontakt zu allen Betroffenen, damit wir immer wissen, wo es „brennt“. Das bewies er auch bei den Bauten im Land, auch er begutachtete die Baufortschritte und immer nur nach Fertigstellung eines bestimmten Bauabschnitts wurde der jeweilige Betrag an die Bauträger überwiesen. Nur durch diese transparente und offene Zusammenarbeit wagten wir es immer wieder Spenden für weitere Projekte zu sammeln. Wir wussten immer, wo jeder Rubel „verbaut“ war und wo der nächste investiert werden würde, das gab uns die nötige Sicherheit, auch gegenüber unseren Spendern. Und so helfen wir bis heute „unseren“ Kindern in Belarus, in Minsk.
Verfasserin: Karla Aurich